Die Stimme der Braut am Ende der Zeit
Dunkel.
Angst.
Wahnsinn.
Terror.
Leid.
Sünde.
Lärm.
Schmerz.
Bedrückung.
Gefangenschaft.
Folter.
Inmitten der Verwirrung, der Verletzung, der Verfolgung.
Inmitten dem Elend, der Raserei, der Bedrängnis,
in dunkelster Stunde,
in stärkster Attacke,
in scheinbarer Niederlage.
- Der Bedränger dröhnt schon Lieder des Triumphes,
feiert seinen nahen Sieg! -
Inmitten des Todes
erhebt sie sich.
Ertönt sie.
Erklingt sie.
... die Stimme.
Ganz leise. Unhörbar zuerst.
Nur ein Klang, wie verhauchend.
Aber den Erdkreis überzieht ein Erzittern.
Die Stimme wird lauter, klingt klarer.
Sie ergreift Raum.
Alle Kreatur hält inne, verharrt, merkt auf.
Das Dunkel weicht zurück in Entsetzen.
Der Lärm verstummt.
Es wird ganz still.
Alle Raserei erstarrt.
Licht flutet.
Und die Stimme erhebt sich laut,
schwingt sich empor,
formt sich zu einem Ruf,
der den Weltraum erfüllt.
Die ganze Welt lauscht. Ist wie gebannt.
Wird ergriffen vom Klang dieser Stimme,
die noch keine Kreatur je gehört hat.
Eine Stimme –
mächtig wie Donnerschall aus Millionen von jubelnden Kehlen,
sanft wie das Flüstern des Windes an einem stillen Sonnennachmittag,
kühn wie ein Kriegsruf gegen den Hass der Unterdrücker,
zart wie das Blatt in einer sich öffnenden Knospe,
klar wie ein Sonnenstrahl in der Mittagszeit,
lieblich wie Kinderlachen,
erschütternd wie das Grollen eines sich nahenden Erdbebens,
innig wie ein Gebet, tief im Herzen,
freudig wie das Strahlen in den Augen des Bräutigams,
hingegeben und stark,
laut und fordernd,
kraftvoll und schneidend.
Eine Stimme -
voller Erschrecken für den Feind,
faszinierend für alle Kreatur.
Und die Finsternis erzittert,
das Grauen flieht.
Der Himmel aber jubelt,
hingerissen von der Schönheit dieser Stimme.
Die vollkommene Braut läßt ihre Stimme erschallen.
Sie jubelt dem zu, der sie befreit hat, errettet hat, erkauft hat,
dem, der sie liebt – mehr als ein Mensch lieben kann.
Sie ruft ihm zu.
Sie streckt sich aus.
Ihre Stimme erklingt.
Und erhebt sich immer mehr, schwingt sich empor.
Heraus aus irdischen Umständen, aus menschlichem Denken,
aus Bedrängnis und Beschränkung,
aus Not und Pein.
Hin zu ihm.
Hin zu dem, der auf dem ewigen Thron der Herrlichkeit sitzt.
Hin zum Lamm Gottes, zum Bräutigam, zum Friedensfürst.
Hin zu dem, mit dem sie in Ewigkeit vereinigt sein wird.
Endlich erhebt sich ihre Stimme,
ertönt ihr Klang,
auf den alle Kreatur, ja die ganze Schöpfung
so lange gewartet hat.
Und sie singt.
Sie jubelt.
Sie lacht.
Sie weint.
Sie brüllt.
Sie flüstert.
Sie ruft.
Sie seufzt.
Voller Sehnsucht und Verlangen.
Und er, der zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzt,
er hört diese Stimme.
Sein Herz jubelt,
denn für diese Braut hat er alles gegeben.
Auf den Klang dieses Rufes hat er seit Ewigkeit gewartet.
Jetzt hört er die Stimme.
Die Stimme der vollkommenen Braut, die sich ausstreckt nach ihm.
Er hört ihre Sehnsucht.
Er hört ihr Verlangen.
Er hört ihren Wohlklang.
Und er erhebt sich.
Gott steht auf.
Alle Kreatur schweigt.
Der Bräutigam macht sich bereit.
Alles im Himmel blickt voller Ehrfurcht auf ihn.
Alles in der Hölle erzittert voll Entsetzen.
Der König aller Könige holt seine Braut.
Der Herr aller Herrn ist bereit.
Der, dem alle Macht und Gewalt gegeben ist.
Alles Gegenwärtige, alles Zukünftige.
Alles Hohe, alles Tiefe.
Ja, alles, was Namen hat.
Sie, für die er alles gegeben hat,
ruft ihn.
Und er kommt.
Er holt sie.
Die Schönste.
Die Vollkommenste.
Die Reinste.
Die Braut des Lammes.
Ohne Flecken und Runzeln.
Rein und Heilig.
Ausgesondert für ihn.
Er holt sie zu sich.
Für alle Ewigkeit.
Für immer.
... und immer.
Martin Baron
November 2000