Die Berliner Erklärung (1909)

Die unterzeichneten Brüder erheben warnend ihre Stimme gegen die sogenannte Pfingstbewegung.

1. Wir sind nach ernster gemeinsamer Prüfung eines umfangreichen und zuverlässigen Materials vor dem Herrn zu folgendem Ergebnis gekommen:

a) Die Bewegung steht in untrennbarem Zusammenhang mit der Bewegung von Los Angeles – Christiania – Hamburg – Kasse – Großalmerode. Die Versuche, diesen Zusammenhang zu leugnen, scheitern an den vorliegenden Tatsachen.

b) Die sogenannte Pfingstbewegung ist nicht von oben, sondern von unten; sie hat viele Erscheinungen mit dem Spiritismus gemein. Es wirken in ihr Dämonen, welche, vom Satan mit Liste geleitet, Lüge und Wahrheit vermengen, um die Kinder Gottes zu verführen. In vielen Fällen haben sich die sogenannten „Geistbegabten“ nachträglich als besessen erwiesen.

c) An der Überzeugung, dass diese Bewegung von untern her ist, kann uns die persönliche Treue und Hingebung einzelner führender Geschwister nicht irre machen, auch nicht die Heilungen, Zungen, Weissagungen usw., von denen die Bewegung begleitet ist. Schon oft sind solche Zeichen mit ähnlichen Bewegungen verbunden gewesen, z.B. mit dem Irwingianismus, ja selbst mit der „christlichen Wissenschaft“ (Christan Science) und dem Spiritismus.

d) Der Geist in dieser Bewegung bringt geistige und körperliche Machtwirkungen hervor; dennoch ist es eine falscher Geist. Er hat sich als ein solcher entlarvt. Die hässlichen Erscheinungen, wie Hinstürzen, Gesichtszuckungen, Zittern, Schreien, widerliches, lautes Lachen usw. treten auch diesmal in Versammlungen auf. Wir lassen dahingestellt, wie viel davon dämonisch, wie viel hysterisch oder seelisch ist – gottgewirkt sind solche Erscheinungen nicht.

e) Der Geist dieser Bewegung führt sich durch das Wort Gottes ein, drängt es aber in den Hintergrund durch sogenannte „Weissagungen“. Vergleiche 2. Chronik 18,18-22. Überhaupt liegt in diesen Weissagungen eine große Gefahr; nicht nur haben sich in ihnen handgreifliche Widersprüche herausgestellt, sondern sie bringen da und dort Brüder und ihre ganze Arbeit in sklavische Abhängigkeit von diesen „Botschaften“. In der Art ihrer Übermittlung gleichen die letzteren den Botschaften spiritistischer Medien. Die Übermittler sind meist Frauen. Das hat an verschiedenen Punkten der Bewegung dahin geführt, dass gegen die klaren Weisungen der Schrift Frauen, ja sogar junge Mädchen, leitend im Mittelpunkt der Arbeit stehen.

2. Eine derartige Bewegung als von Gott geschenkt anzuerkennen, ist uns unmöglich. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass in den Versammlungen die Verkündigung des Wortes Gottes durch die demselben innewohnende Kraft Früchte bringt. Unerfahrene Geschwister lassen sich durch solche Segnungen des Wortes Gottes täuschen. Diese ändern aber an dem Lügen-Charakter der ganzen Bewegung nichts, vergleiche 2. Korinther 11,3-4 und 14.

3. Die Gemeinde Gottes in Deutschland hat Grund, sich tief zu beugen darüber, dass diese Bewegung Aufnahme finden konnte. Wir alle stellen uns wegen unserer Mängel und Versäumnisse, besonders auch in der Fürbitte, mit unter diese Schuld. Der Mangel an biblischer Erkenntnis und Gründung, an heiligem Ernste und Wachsamkeit, eine oberflächliche Auffassung von Sünde und Gnade, von Bekehrung und Wieder geburt, eine willkürliche Auslegung der Bibel, die Lust an neuen aufregenden Erscheinungen, die Neigung zu Übertreibungen, vor allem aber auch Selbstüberhebung, - das alles hat dieser Bewegung die Wege geebnet.

4. Insonderheit aber ist die unbiblische Lehre vom sogenannt „reinen Herzen“ für viele Kreise verhängnisvoll und für die sogenannte Pfingstbewegung förderlich geworden. Es handelt sich dabei um den Irrtum, als sei die „innewohnende Sünde“ in einem begnadigten und geheiligten Christen ausgerottet. Wir halten fest an der Wahrheit, dass der Herr die Seinigen vor jedem Straucheln und Fallen bewahren will und kann (1. Tessalonicher 5,23; Judas 24-25; Hebräer 13,21), und dass dieselben Macht haben, durch den hlg. Geist über die Sünde zu herrschen. Aber ein „reines“ Herz, das drüber hinausgeht, auch bei gottgeschenkter, dauernder Bewahrung mit Paulus demütig sprechen zu müssen: „Ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt“, empfängt der Mensch überhaupt auf Erden nicht. Auch der gefördertste Christ hat sich zu beugen vor dem Gott, der allein Richter ist über den wahren Zustand der Herzen, vergleiche 1. Korinther 4,4. „Wenn wir sagen, dass wir Sünde nicht haben, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“, 1. Johannes 1,8. In Wahrheit empfängt der Gläubige in Christo ein fleckenlos gereinigtes Herz; aber die Irrlehre, dass das Herz in sich einen zustand der Sündlosigkeit erreichen könne, hat schon viele Kinder Gottes unter den Fluch der Unaufrichtigkeit gegenüber der Sünde gebracht, hat sie getäuscht über Sünden, die noch in ihrer Gedankenwelt, in ihren Versäumnissen, oder in ihrem Zurückbleiben hinter den hohen Geboten Gottes in ihrem Leben liegen. Es kann nicht genug ermahnt werden, für die Sünde ein Auge sich zu bewahren, welches nicht getrübt ist durch eine menschliche gemachte Heiligung oder durch eine eingebildete Lehre von der Hinwegnahme der Sündennatur. Mangelnde Beugung über eigene Sünde verschließt den Weg zu neuen Segnungen und bringt unter den Einfluss des Feindes. Traurige Erfahrungen in der Gegenwart zeigen, dass da, wo man einen Zustand von Sündlosigkeit erreicht zu haben behauptet, der Gläubige dahin kommen kann, dass er nicht mehr fähig ist, einen Irrtum zuzugeben, geschweige denn zu bekennen. Eine weitere traurige Folge falscher Heiligungslehre ist die mit ihr verbundene Herabsetzung des biblischen, gottgewollten ehelichen Lebens, indem man mancherorts den ehelichen Verkehr zwischen Mann und Frau als unvereinbar mit wahrer Heiligung hinstellt, vergleiche 1. Mose 1,28 und Epheser 5,31.

5. In der sogenannten „Pfingstbewegung“ steht in Deutschland Pastor Paul als Führer vor der Öffentlichkeit. Er ist zugleich der Hauptvertreter der vorstehend abgewiesenen unbiblischen Lehren. Wir lieben ihn als Bruder und wünschen, ihm und der Schar seiner Anhänger in Wahrheit zu dienen. Es ist uns ein Schmerz, gegen ihn öffentlich Stellung nehmen zu müssen. An Aussprachen mit ihm und an Ermahnungen im engeren weiteren Brüderkreise hat es nicht gefehlt. Nachdem alles vergeblich war, müssen wir nun um seinet- und der Sache Gottes willen hiermit aussprechen: Wir, die unterzeichneten Brüdern, können ihn als Führer und Lehrer in der Gemeinde Jesu nicht mehr anerkennen. Wir befehlen ihn in Liebe, Glaube und Hoffnung der zurechbringenden Gnade des Herrn.

6. Wir glauben, dass es nur Ein Pfingsten gegeben hat, Apostelgeschichte 2. Wir glauben an den hlg. Geist, welcher in der Gemeinde Jesu bleiben wird in Ewigkeit, vergleiche Johannes 14,16. Wir sind darüber klar, dass die Gemeinde Gottes immer wieder erneute Gnadenheimsuchungen des hlg. Geistes erhalten hat und bedarf. Jedem Einzelnen Gläubigen gilt die Mahnung des Apostels: „Werdet voll Geistes!“ Epheser 5,18. Der Weg dazu ist und bleibt völlige Gemeinschaft mit dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn. In Ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig, aus der wir nehmen Gnade um Gnade. Wir erwarten nicht ein neues Pfingsten; wir warten auf den wiederkommenden Herrn.

Wir bitten hierdurch alle unsere Geschwister um des Herrn und seiner Sache willen, welche Satan verderben will: Haltet Euch von dieser Bewegung fern! Wer aber von Euch unter die Macht dieses Geistes geraten ist, der sage sich los und bitte Gott um Vergebung und Befreiung. Verzaget nicht in den Kämpfen, durch welche dann vielleicht mancher hindurchgehen wird. Satan wird seine Herrschaft nicht leichten Kaufes aufgeben. Aber seid gewiss: der Herr trägt hindurch! Er hat schon manchen frei gemacht und will Euch die wahre Geistesausrüstung geben.

Unsere feste Zuversicht in dieser schweren Zeit ist diese: Gottes Volk wird aus diesen Kämpfen gesegnet hervorgehen! Das dürft auch Ihr, liebe Geschwister, Euch sagen, die Ihr erschüttert vor den Tatsachen steht, vor welche unsere Worte Euch stellen. Der Herr wird den Einfältigen und Demütigen Licht geben und sie stärken und bewahren. Wir verlassen uns auf Jesum, der Erzhirten. Wenn jeder dem Herrn und seinem Worte den Platz einräumt, der ihm gebührt, so wird Er das Werk seines Geistes, dass er in Deutschland so gnadenreich angefangen hat, zu seinem herrlichen, gottgewollten Ziele durchführen. Wir verlassen uns auf Ihn, der da spricht: „Meine Kinder und das Werk meiner Hände lasset mir anbefohlen sein“! Jesaja 45,11 (wörtliche Übersetzung).

Berlin, den 15. September 1909.

Es folgen 56 Unterzeichner und die Bemerkung:

Zustimmungen zu vorstehender Erklärung sind erbeten an
Pastor Wittekindt, Weringerode a. Harz Papental 15.